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Israels falsche Freunde

Englische Originalversion

Die Europäer glauben, aus Sühne für den Holocaust müssten sie alle Taten des jüdischen Staats dulden - damit schaden sie ihm
Von Henry Siegman

Der Gesandte des Nahost-Quartetts, Tony Blair, und Bundeskanzlerin Angela Merkel wollen also eine weitere Friedenskonferenz organisieren, diesmal im Juni in Berlin. Nach der langen Reihe fehlgeschlagener Friedensinitiativen, die mindestens bis 1991, bis zur Konferenz von Madrid, zurückreicht, fällt es schwer zu glauben, dass Staats- und Regierungschefs tatsächlich die gleichen Fehler noch einmal begehen wollen. Und dass sie keine Ahnung haben, warum dieser Konflikt heute noch auswegloser erscheint als einst.

Der eigentliche Skandal ist, dass die Völkergemeinschaft zwar genau weiß, wo die Probleme liegen, aber nicht genug Mut aufbringt, sie zu benennen, geschweige denn sie zu lösen. Die nächste Friedenskonferenz in Deutschland - oder in Moskau, wo die Russen sie gerne machen würden - wird an derselben Feigheit scheitern, die auch alle früheren Bemühungen kennzeichnete. Es wird über alles gesprochen werden, außer über das eigentliche Problem.

Dieses Problem sieht so aus: Selbst wenn man von allen Sünden absieht, die man den Palästinensern zuschreiben kann - ihre desaströse Führung, der missglückte Aufbau politischer Institutionen, die mörderische Gewalt der Widerstandsgruppen: Es gibt keine realistische Perspektive für einen souveränen palästinensischen Staat. Und dies vor allem deshalb, weil die zahlreichen israelischen Regierungen von 1967 bis heute nie die Absicht hatten, einen solchen Staat Wirklichkeit werden zu lassen.

Es ist das eine, dass Israels Regierungen darauf bestehen, den Palästinenser-Staat so lange hinauszuzögern, bis bestimmte Sicherheitsbedürfnisse erfüllt sind. Das andere aber ist, dass eine Regierung, die den Konflikt ernsthaft lösen wollte, niemals die Räumung und Teilung palästinensischen Landes auf eine Weise weiterbetreiben würde, bei der jedes Kind weiß, dass sie einen palästinensischen Staat unmöglich macht. Angesichts der überwältigenden Ungleichheit der Kräfte zwischen Besatzern und Besetzten wundert es wenig, dass israelische Regierungen einen regelrechten Heißhunger auf palästinensisches Land entwickelt haben. Erstaunlich ist etwas anderes: dass die Völkergemeinschaft so tut, als nehme sie Israel die Behauptung ab, das Opfer zu sein, die von ihm besetzten Menschen aber die Aggressoren. Deshalb erlaubt sie weiterhin die Enteignung der Palästinenser, dass hier die Gesetze des Dschungels walten.

Solange Israel glaubt, sich mit dem Hinauszögern des Friedensprozesses Zeit kaufen zu können, um unwiderruflich Fakten zu schaffen - solange kann kein Friedensprozess gelingen. Und wenn die Völkergemeinschaft Israel weiterhin die Behauptung abkauft, sein Wunsch nach einer Zwei-Staaten-Lösung werde durch die Palästinenser enttäuscht, wird deren Vertreibung in der Tat unumkehrbar. Und wenn westliche Länder vor dem Hintergrund ihrer Schuld am Holocaust glauben, ihre Hinnahme eines solchen Ergebnisses sei ein Akt der Freundschaft mit dem jüdischen Volk, so könnte es keinen größeren Irrtum geben. Die Palästinenser aufzugeben, kann keine Sühne dafür sein, die Juden Europas aufgegeben zu haben. Und es würde auch nicht der Sicherheit des Staates Israel dienen.

Die geradezu uneingeschränkten Bekundungen der Unterstützung durch Merkel und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy sind nach den Worten des Publizisten John Vinocur "der Versuch, Israel zur Mäßigung mit einer Botschaft zwischen den Zeilen anzuhalten, nämlich: Die EU ist nicht oder nicht mehr euer reflexhafter Widersacher." Aber die Erwartung, unkritische Unterstützung werde zu einer größeren Bereitschaft Israels führen, für den Frieden Risiken auf sich zu nehmen, steht im Widerspruch zur Geschichte dieses Konflikts. Diese hat vielmehr gezeigt: Je kleiner der Widerspruch ist, den Israel von seinen Freunden im Westen erhält, desto kompromissloser wird sein Verhalten gegenüber den Palästinensern. Und genauso reagierte Premier Ehud Olmert auf die Erklärungen von Sarkozy und Merkel: Er kündigte neue Bauprojekte in Ostjerusalem an und genehmigte damit Wohnungsprojekte, die frühere Regierungen wegen ihrer negativen Wirkungen auf ein Friedensabkommen eingefroren hatten. Zudem erklärte Verteidigungsminister Ehud Barak kurz nach Merkels Abreise im März, dass er die 500 Kontrollpunkte und Straßensperren nicht auflösen werde, die ein Gedeihen der palästinensischen Wirtschaft verhindern - was Israel schon wiederholt versprochen und ebenso wiederholt nicht erfüllt hatte. Welche Hoffnung die Palästinenser auch immer gehabt haben mögen, nachdem ihnen die internationale Gebergemeinschaft im Dezember mehr als sieben Milliarden Dollar zugesagt hatte: Mit Baraks Ankündigung wurde sie zerstört. Die Geberländer, von der Privatwirtschaft gar nicht zu reden, werden unter diesen Umständen dem schlechten Geld nicht auch noch gutes hinterherwerfen; das haben sie früher schon oft genug getan.

Was von den Staats- und Regierungschefs nun verlangt wird, sind keine weiteren Friedenskonferenzen oder clevere Korrekturen früherer Erklärungen - sondern der moralische und politische Mut, ihre Kollaboration mit jenem Riesenschwindel zu beenden, zu dem der Friedensprozess geworden ist. Selbstverständlich muss die palästinensische Gewalt verurteilt und gestoppt werden, vor allem, wenn sie Zivilisten trifft. Auf der anderen Seite aber: Barrikaden und Checkpoints der Armee, Kampfhubschrauber und Düsenjäger, gezielte Ermordungen und militärische Übergriffe, ganz zu schweigen vom massiven Diebstahl palästinensischen Lands. Ist es nicht vollkommen unehrlich, so zu tun, als wäre Israels Besetzung nicht selbst ein unerbittlicher Akt der Gewalt gegen drei Millionen palästinensische Zivilisten? Könnte die Besetzung auch nur einen Tag länger währen, wenn Israel seine Gewalt aufgeben würde?

Dessen Pläne für das Westjordanland sind nicht viel anders als die der arabischen Streitkräfte, als sie 1948 den Staat Israel angriffen - ihr Ziel war die Annullierung des UN-Teilungsplans von 1947. Dieses Problem muss beim Namen genannt werden (und das ist etwas völlig anderes als so hohle Statements wie: "Siedlungen helfen nicht dem Frieden"). Und es muss gemeinsam gegen einen Kolonialismus vorgegangen werden, der den einstigen noblen jüdischen Befreiungskampf entwertet. Oder die Teilnehmer von Friedenskonferenzen, egal welch guter Absicht, sind nur Staffage bei einer grausamen Täuschung.

Henry Siegman, früherer Direktor des American Jewish Congress, ist Präsident des "US/Middle East Project". Das Institut ging aus dem Council on Foreign Relations hervor. Übersetzung: Ferda Ataman.

Quelle: Süddeutsche Zeitung
Nr.84, Donnerstag, den 10. April 2008 , Seite 2

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Mit freundlichen Grüßen,
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