Erotik und Sexualität im Islam
Stephan Procháska

Körperliche Liebe wird innerhalb der islamischen Ethik durchaus positiv gesehen - solange sich ihre Ausübung nach den in der Scharia festgelegten göttlichen Regeln bewegt, das heißt im Rahmen der Ehe. Nicht wenige Hadithe - gesammelte Aussprüche des Propheten - betonen die Vorzüge der geschlechtlichen Liebe. Selbst für das Paradies sprechen immerwährende Jungfrauen (die Huris) eine Weiterführung dieser Genüsse. Demgegenüber existiert aber auch eine dunkle Seite der Sexualität. Sexuelle Betätigung versetzt den Menschen in den Status der rituellen Unreinheit. Der Autor untersucht in den folgenden Ausführungen den Stellenwert von Erotik und Sexualität in der islamischen Religion.

Heutzutage ist der islamische Kulturraum sicherlich keine Region, die in Europa mit einer positiven Einstellung zur Sexualität oder gar mit sexueller Freizügigkeit assoziiert wird. Ganz im Gegenteil vermitteln die meist rigiden islamischen Moralvorstellungen sowie Bilder von vollkommen verhüllten und - zumindest nach westlicher Auffassung - unterdrückten Frauen den Anschein, als wären Körperlichkeit und damit natürlich auch alle Formen körperlicher Liebe etwas Unerwünschtes. Diese - wie wir im folgenden noch sehen werden - etwas einseitige und oberflächliche Einschätzung hat vor allem zwei Ursachen:
Erstens einmal die Annahme, dass die gesellschaftliche Stellung der Frau in einer Religion auch mit deren Einstellung zur Sexualität etwas zu tun hat. Dies ist nur sehr bedingt der Fall, wie etwa das Beispiel des Hinduismus zeigt, wo eine äußerst positive Einstellung zur Sexualität in keiner Weise auf die soziale Stellung der Frauen Einfluss genommen hat.
Zweitens hat sich durch die sogenannte "sexuelle Revolution" in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts der Blickwinkel des Westens extrem verschoben. Das Bild vom Islam als einer prüden, lustfeindlichen Religion ist nämlich eine eher rezente Erscheinung. Bis weit in das 19. Jahrhundert hinein galt der "Orient" und damit auch der Islam sogar als ein Sinnbild für Erotik und Freizügigkeit, wovon etwa die schwülstig-erotischen Haremsszenen der Kunstströmung des Orientalismus ein beredtes Zeugnis ablegen. Auch unzensurierte Ausgaben der Erzählungen von 1001 Nacht waren im vorletzten Jahrhundert noch ein begehrtes Gut. Allerdings wurden gerade die Vielehe und die an sie geknüpften sexuellen Phantasien zu polemischen Angriffen gegen die Religion des Islams im allgemeinen und die Person Muhammads im besonderen benützt.
Die folgenden Ausführungen beschränken sich auf jene Bereiche, in denen Sexualität und Erotik zumindest im weitesten Sinne in Beziehung zur islamischen Religion stehen. Das Thema heißt demnach nicht Sexualität im islamischen Kulturkreis, weshalb alles, was nichts mit der Religion zu tun hat bzw. von dieser sogar abgelehnt wird, ausgeklammert bleiben muss. Dazu gehören insbesondere die Problematik der Prostitution (die es auch in der islamischen Welt überall und immer gab), alle Arten von pornographischen Schriften und natürlich auch die Ausschweifungen der Oberschicht, seien es nun jene am Hofe der Kalifen in Bagdad oder hinter den Mauern der heutigen Paläste. All das sind mehr oder weniger rein kulturgeschichtliche Phänomene, die nur marginal mit der Religion in Verbindung zu bringen sind.

Die Einstellung des Islams zur Sexualität

In historischer Perspektive ist die Einstellung des Islams zur Sexualität grundsätzlich nicht als negativ zu bezeichnen, insbesondere wenn man sie etwa mit Standpunkten vergleicht, welche die katholische Kirche lange Zeit einnahm. Dies darf aber auf keinen Fall in der Weise interpretiert werden, dass der Islam etwa gar die Idee der freien Liebe fördern würde. Ganz im Gegenteil wird die eher positive Haltung gegenüber Sexualität von sehr wirksamen Schranken gegen Promiskuität begleitet. Diese sind vor allem zwei, nämlich einerseits die vollkommene Kontrolle der Frau und damit verbunden die Segregation der Geschlechter sowie andererseits die unabdingbare Beschränkung jeglicher Form der Sexualität auf die Ehe (und früher auch das Konkubinat).
Der Geschlechtertrennung liegt primär die Idee zugrunde, dass der Mann die Sexualität der Frau als bedrohlich erlebt und davor geschützt werden muss, auch wenn dies von muslimischer Seite gerade im Westen oft in Abrede gestellt und dagegen behauptet wird, Segregation und Verschleierung dienten nur dazu, um die Privatsphäre der Frau zu schützen.
Die Frau gilt gemeinhin als die Verführerin, als gefährlich, geistig beschränkt und bösartig. Diese Einstellungen finden sich teilweise sogar im Koran, wo es in Sure 12,28 im Zusammenhang mit der Josephslegende heißt: "Das ist eine List von euch (Weibern). Ihr seid voller List und Tücke." Häufiger anzutreffen sind misogyne Auffassungen in den Prophetenaussprüchen (den Hadithen), so zum Beispiel: "Eine gute Frau ist unter den Weibern so selten wie ein weißer Rabe" oder der noch heute vielzitierte Hadith: "die Frauen haben einen kurzen Verstand und sind schwach in der Religion."
Wie gesagt, ist Sexualität nur innerhalb einer Ehe legitim. Für außerehelichen Geschlechtsverkehr sieht bereits der Koran drakonische Strafen vor, wo Sure 24,2 besagt: "Wenn eine Frau und ein Mann Unzucht begehen, dann verabreicht jedem von ihnen hundert (Peitschen)hiebe." Der gerade im Westen immer wieder heftig diskutierte "Steinigungsvers" ist allerdings im Standardtext des Korans nicht enthalten, sondern geht auf eine frühe Tradition des Kalifen Omar (634-644) zurück. Die strikte Verbindung von Sexualität und Ehe manifestiert sich übrigens auch in der arabischen Sprache, denn das Wort nikāh bedeutet sowohl "Beischlaf" als auch "Heirat" und "Ehe". Festzuhalten ist jedenfalls, dass Ehebruch und Unzucht nach islamischer Auffassung nicht nur schwere Sünden sind, sondern unbedingt zu ahndende strafrechtliche Delikte darstellen.

Die Beschränkung der Sexualität auf die Ehe und auf einen einzigen Partner gilt jedoch in dieser Strenge nur für die Frauen, da dem Mann in diesem Bereich doch wesentlich mehr Freiheiten zugestanden werden. Anzuführen sind hier vor allem die folgenden Punkte: die im Islam legale Polygynie, welche auf Koran, Sure 4,3 basiert: "... dann heiratet von den Frauen, was euch beliebt, zwei, drei oder vier. Wenn ihr aber fürchtet, so viele nicht gerecht zu behandeln, dann nur eine." Das heißt, dass ein Mann gleichzeitig vier Ehefrauen besitzen kann, wenn er imstande ist, sie gleich zu behandeln, und zwar sowohl was Materielles als auch die "ehelichen Pflichten" betrifft. Eine volle Ausschöpfung der Möglichkeiten, also vier Ehefrauen, ist daher in praxi relativ selten, weil es schon in Hinblick auf die dadurch zu erwartenden zahlreichen Nachkommen einen gewissen Wohlstand voraussetzt. Von den mehrheitlich islamischen Ländern haben nur die Türkei, Tunesien und Bosnien das von der Religion verbriefte Recht des Mannes auf mehr als eine Frau aufgehoben.
Weiters bevorzugt wird der Mann auch in Bezug auf die Scheidung, welche dem männlichen Ehepartner ziemlich einfach gemacht wird. Für Frauen ist eine Auflösung der Ehe schwierig bis unmöglich, und wenn sie selbst verstoßen werden, müssen sie eine viermonatige Wartefrist einhalten, bis sie sich wieder verheiraten können (solange dauert es, bis eine etwaige Schwangerschaft feststeht). Zusätzlich zu seinen vier Ehefrauen stand es früher einem Mann auch frei, mit seinen Sklavinnen geschlechtlich zu verkehren, wobei deren Zahl nicht limitiert war. Dies macht auch historische Berichte erklärbar, welche erwähnen, dass etwa die osmanischen Sultane in ihrem Harem manchmal hundert oder sogar mehr Frauen hatten. Darunter waren aber immer nur vier rechtmäßige Ehefrauen, die übrigen hatten nur den Status von Sklavinnen.
Auf die schiitische Richtung des Islams beschränkt ist die sogenannte "Zeitehe" (mut(a, wörtlich "Genussehe"), welche unter bestimmten Bedingungen auch nur für ein paar Stunden abgeschlossen werden kann.
Von Frauen wird hingegen im allgemeinen erwartet, dass sie als Jungfrauen in eine Ehe eintreten. Der in allen islamischen Ländern sehr auffällige "Jungfräulichkeitskult" findet auch von Seiten der Theologen Unterstützung: Sie argumentieren damit, dass es eine allgemein menschliche Neigung ist, Angenehmes in immer wieder derselben Weise haben zu wollen. Daraus folgert man, dass eine Frau, die vorher einen anderen Partner gehabt hat, mit ihrem späteren nicht zufrieden sein könnte. Feministische Autorinnen, wie etwa die Marokkanerin Fatima Mernissi, sehen darin allerdings schlicht und einfach "die Angst des Machos vorm Vergleich".
Zusammenfassend kann also festgestellt werden, dass nach islamischem Recht der Mann zumindest in der Theorie über eine große Anzahl von Partnerinnen verfügt, mit denen er legal sexuell verkehren kann: bis zu vier Ehefrauen (und dazu Sklavinnen) gleichzeitig sowie mehr oder weniger beliebig viele Frauen hintereinander. Ein bekanntes Beispiel in der Geschichte ist hier al-Hasan (gestorben 669), Muhammads Enkel und zweiter Imam der Schia, welcher aufgrund seiner über zweihundert Frauen den Beinamen "der Vielheirater" trug. Dies führt uns zur Person des Propheten selbst, dessen Aussprüche und vorbildliche Handlungsweise bekanntlich bis heute neben dem Koran die Hauptquelle für islamisches Recht und islamische Ethik sind. Es ist sicher nicht übertrieben zu sagen, dass Muhammads Umgang mit der Sexualität maßgeblich dazu beigetragen hat, dass diese innerhalb bestimmter Bahnen als positiv angesehen wurde.
Muhammad lebte bis zum Tod seiner ersten Frau Hadidscha (619) in einer monogamen Ehe, und zwar wohl deswegen, weil die ältere Hadidscha sich aufgrund ihrer Position als Handelsfrau genügend Respekt verschaffen konnte. Noch heute ist es gerade bei begüterten Mädchen üblich, dass sie bzw. ihre Familie sich in einem Ehevertrag ausbedingen, dass der Mann sich keine weitere Frau nehmen wird. Nach Hadidschas Tod heiratete Muhammad allerdings noch weitere dreizehn Frauen, davon standen bis zu acht gleichzeitig in einer aufrechten Ehe mit ihm. Diese Ausnahmestellung gegenüber "normalen" muslimischen Männern wird im Koran durch eine Offenbarung bestätigt. In Sure 33,50 heißt es: "Prophet! Wir haben dir zur Ehe erlaubt: deine bisherigen Gattinnen, denen du ihren Lohn gegeben hast; was du (an Sklavinnen) besitzt, die von Gott (als Beute) zugewiesen wurden, die Töchter deiner Onkeln und Tanten väterlich- und mütterlicherseits, die mit dir ausgewandert sind; weiters eine jede gläubige Frau, wenn sie sich dem Propheten schenkt und er sie heiraten will. Das gilt in Sonderheit für dich im Gegensatz zu den anderen Gläubigen." Grund dafür war wohl vor allem politisches Kalkül, trotzdem wurde diese Ausnahmestellung selbst in der islamischen Gemeinde immer wieder diskutiert, da sich seit frühester Zeit Erklärungen apologetischer Art finden, in denen das Vorrecht des Propheten gerechtfertigt wird. Darüber hinaus war das Eheleben des Propheten aufgrund der vielen Frauen nicht immer leicht, und es kam des öfteren zu Verwicklungen und Auseinandersetzungen zwischen seinen Frauen. Jedenfalls wird die Sexualität im Leben Muhammads nicht tabuisiert. Ganz im Gegenteil wird unter anderem sogar davon berichtet, dass er nicht selten Offenbarungen von Gott erhielt, wenn er gerade beim Liebesspiel mit seiner Lieblingsfrau Aischa war. Spätere Quellen berichten darüber hinaus, dass Gott Muhammad die Potenz von dreißig normalen Männern geschenkt habe und er manchmal mit all seinen acht Ehefrauen in einer Nacht verkehrte. Mit Verweis auf Muhammads Eheleben wird auch seine gegenüber Jesus höhere Stellung begründet: Jesus war zwar ein großer Prophet, doch beschloss Gott, ihn asketisch leben zu lassen, da er nicht stark genug gewesen wäre, neben seinem Prophetentum noch ein Familienleben zu haben.
Dass die christliche Sicht der Dinge natürlich ganz anders war, liegt auf der Hand: In der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen christlichen Polemik wurde Muhammad gerade wegen seiner vielen Frauen als hemmungsloser Wüstling dargestellt, der nur den fleischlichen Lüsten zugetan war. Aber selbst in der islamwissenschaftlichen Forschung war es bis ins 20. Jahrhundert hinein üblich, das Liebesleben Muhammads als anormal hinzustellen. In der besten und ausführlichsten Muhammad-Biographie des 19. Jahrhunderts schreibt etwa der Tiroler Aloys Sprenger in Band 111,87: "Das wahre Motiv seiner Exzesse spricht er in einer wohlverbürgten Tradition selbst aus: 'Mein einziges Vergnügen auf Erden sind Weiber, Wohlgerüche und das Gebet.' Das Prophetentum, so die Kommentatoren, ist eine so schwere Aufgabe, dass Gott dem Propheten im Liebesgenusse einen Ersatz gewährte."
Da nun durch das Vorbild Muhammads der Sexualität kein negatives Image anhaftete, konnten sich über die Jahrhunderte auch die Juristen und Theologen über ihren Stellenwert - aber auch über ganz praktische Seiten - relativ offen ihre Gedanken machen. Der Koran selbst war hier kaum eine Quelle, da nur wenige Stellen, und diese meist nur indirekt, auf die Sexualität Bezug nehmen.
Der Hadith hingegen ist in vielen Punkten widersprüchlich, sodass auch heute noch in einigen wichtigen Bereichen verschiedenste Lehrmeinungen vorherrschen, so insbesondere etwa zur Frage der Empfängnisverhütung (von "kein Problem" bis "schlimmstes Vergehen") oder zum Schwangerschaftsabbruch.

Koran und Sexualität

Zu den wenigen klaren Aussagen in der Offenbarungsschrift selbst gehört das Verbot der männlichen Homosexualität, denn in Sure 26,165-166 heißt es: "Wollt ihr euch denn mit Menschen männlichen Geschlechts abgeben und darüber vernachlässigen, was euer Herr euch in euren Gattinnen geschaffen hat? Nein, ihr seid verbrecherische Leute!" Diese so klare und eindeutige Aussage lässt darauf schließen, dass Homosexualität im vorislamischen Arabien relativ weit verbreitet war. Auch in späterer Zeit war vor allem die Knabenliebe, ähnlich wie in der Antike, eine recht gängige Erscheinung, die zumindest von einem Teil der Gesellschaft auch akzeptiert wurde. Es gibt sowohl in der arabischen als auch in der osmanisch-türkischen Literatur eine Reihe von Gedichten und anderen literarischen Werken, die eindeutig homosexuelle Züge tragen. Besonders auffällig sind die in literarische Form gebrachten Pseudo-Dispute, in welchen mit größter Offenheit in allen Details darüber diskutiert wird, ob ein Knabe nicht doch einer Frau vorzuziehen sei. Das "scheinheilige" Ende vieler solcher Werke besteht darin, dass man zum Schluss kommt, die Gottesliebe sei allem vorzuziehen. Trotz des kulturhistorischen Befunds einer anscheinend weitverbreiteten (männlichen) Homosexualität muss aber festgestellt werden, dass diese von der Religion immer bekämpft wurde.
In Sure 2 finden sich zwei Verse, die einen Bezug zur Sexualität haben: Das ist einmal Vers 222, der eine der wenigen Einschränkungen enthält, denen die eheliche Sexualität unterworfen ist: "Und man fragt dich nach der Menstruation. Sag: Sie ist eine Plage. Darum haltet euch während der Menstruation von den Frauen fern und kommt ihnen nicht nahe, bis sie (wieder) rein sind! Wenn sie sich dann gereinigt haben, dann geht zu ihnen, so wie Gott es euch befohlen hat!" In Vers 223 derselben Sure heißt es: "Eure Frauen sind euch ein Saatfeld. Geht zu diesem eurem Saatfeld, wo immer ihr wollt! Und legt euch im Diesseits einen Vorrat an guten Werken an! Und fürchtet Gott!" Letzterer Vers hat insofern eine wichtige Folge, als er gemeinhin dahingehend ausgelegt wird, dass die Frau - außer während der Menstruation - ihrem Mann immer zur Verfügung stehen soll. Die Passage "... wo immer ihr wollt" wird von manchen aber auch so interpretiert, dass beim Koitus jegliche Stellung erlaubt ist, solange es zumindest theoretisch zu einer Befruchtung (siehe Saatfeld!) kommen kann.

Da nun der Koran eher wenig Eindeutiges zu bieten hat, das islamische Gesetz und die islamische Ethik aber möglichst jede Kleinigkeit zu regeln bemüht sind, nahmen sich die Theologen und Juristen dieses Themas an. Eine der wichtigsten Quellen für uns ist hiebei der heute noch hoch angesehene Theologe al-Ġazālī, der Ende des 11., Anfang des 12. Jahrhunderts wirkte (gest. 1111). In seinem Hauptwerk mit dem Titel "Wiederbelebung der religiösen Wissenschaften" legt er im zwölften Kapitel die klassischen Standpunkte bezüglich Ehe, Heirat und Sexualität dar, wie sie bis in unsere Zeit noch großteils gültig sind.
Einige seiner Aussagen zeigen eine enge Verbindung von Religiosität und Sexualität, wie sie im (katholischen) Christentum wohl kaum denkbar wäre. So schreibt al-Ġazālī etwa: "Es ist eine löbliche Sitte, die Beiwohnung mit der Anrufung des Namen Gottes zu beginnen. Dann soll man den ersten Vers der 112. Sure zitieren, darauf 'Gott ist gross' (Allāhu akbar) und 'es gibt keinen Gott außer Allāh' sagen. Außerdem sollte man ein kurzes Gebet sprechen, nämlich: 'Mein Gott, lass es eine gute Nachkommenschaft werden, wenn du beschlossen hast, eine solche aus meinen Lenden hervorgehen zu lassen.' Kurz vor dem Höhepunkt soll der Mann für sich sagen (Sure 25,56): 'Gelobt sei Gott, der aus dem Wasser (=Samen) einen Menschen geschaffen und ihn zu Bluts- und angeheirateten Verwandten hat werden lassen'" (Von der Ehe, S. 88f.).
Der eheliche Verkehr ist demnach fast ein religiöser Akt, eine Auffassung, die auch in dem berühmten von an-Nawawī zitierten Ausspruch Muhammads reflektiert ist, wo es heißt: "Jeder Beischlaf mit euren Frauen ist so etwas wie das Almosengeben" (also eine religiöse Pflicht).

Das alles bedeutet aber nicht, dass dem Islam Vorstellungen von einer dunklen und unreinen Seite der Sexualität völlig fremd wären. Denn jegliche sexuelle Betätigung versetzt einen Menschen in den Status der großen rituellen Unreinheit, welche nur durch eine Ganzkörperwaschung entfernt werden kann. Für einen Mann ist es sogar die einzige Handlung, welche ihn in diesen Zustand versetzt, bei einer Frau kommen noch Menstruation und Geburt dazu. Ein weiterer Hinweis auf eine negative Seite der Sexualität ist der bei den Rechtsgelehrten immer wieder zu findende Ratschlag, dass man während des Beischlafs nicht die Richtung nach Mekka (die qibla) einnehmen soll, da dies respektlos wäre.
Außerdem zu unterlassen ist selbst unter Eheleuten der Anblick der unverhüllten Schamteile, was übrigens auch unter Gleichgeschlechtlichen gilt. So wird auch im orientalischen Dampfbad, dem Hammam, peinlichst darauf geachtet, dass die Männer ein Tuch um die Lenden tragen. Grundsätzlich gilt diese Vorschrift auch im Frauenbad, doch haben sich die Frauen kaum daran gehalten und baden auch heute noch meist ohne jegliche Bedeckung.
Wie in so vielen Bereichen, so hat man sich auch bezüglich des ehelichen Verkehrs Gedanken darüber gemacht, wann dieser besonders empfehlenswert sei. Dies ist etwa der Fall am Freitag, also am islamischen Wochenfeiertag, während man in der ersten, mittleren und letzten Nacht des Monats den Beischlaf besser unterlassen sollte, da zu diesen Zeiten der Teufel die Hand im Spiel hat. Verboten ist jeglicher Verkehr im Ramadan zwischen der Morgendämmerung und dem Sonnenuntergang (also zu der Zeit, wo man auch nicht essen und trinken darf) sowie auf der Pilgerfahrt nach Mekka.

Islam und Ehe

Durch die positive Sicht der Sexualität und ihrer gleichzeitigen strikten Beschränkung auf die Ehe ist es nicht verwunderlich, dass der Institution Ehe eine immens wichtige Bedeutung beigemessen und Ehelosigkeit von den meisten Theologen als unzulässig oder zumindest unerwünscht gesehen wird. Dies wird einerseits begründet durch den Koranvers 24,32: "Und verheiratet diejenigen von euch, die noch ledig sind!" sowie mit dem Argument, dass der Sexualtrieb zu stark sei, um dauerhaft unterdrückt werden zu können, weshalb eben alle möglichst bald heiraten sollen, um ja nicht das Vergehen der Unzucht auf sich zu nehmen. Von manchen Rechtsgelehrten wird deshalb sogar die Selbstbefriedigung als geringeres von zwei Übeln gesehen, indem man sie vergleicht mit der Möglichkeit, sogar Verbotenes (harām) zu essen, bevor man verhungert. Im allgemeinen gilt Selbstbefriedigung jedoch als verwerflich und darf auf keinen Fall aus Lust geschehen, sondern höchstens, um die noch größere Sünde des unehelichen Geschlechtsverkehrs zu verhindern.
Weiters wird die Sexualität bejaht, weil eine aufgestaute Libido den Menschen von den wichtigen Dingen des Lebens abhält. Man verweist darauf, dass die Männer dann zum Beispiel beim rituellen Gebet nicht mehr konzentriert sind, während ein gutes Maß an Sexualität den Geist frei macht. Al-Ġazālī zitiert sogar einen Rechtsgelehrten, der meinte: "Sowie das Glied eines Mannes erigiert ist, ist ein Drittel seiner Religion schon dahin ..." Dagegen hält er den Prophetenausspruch: "Wer heiratet, der hat das halbe Seelenheil schon gesichert, er fürchte Gott in Bezug auf den zweiten Teil."
Empfohlen wird jedenfalls, dass ein Mann, der eine Frau zu begehren beginnt, zu seiner eigenen gehen soll, damit die schlechten Gedanken von ihm verschwinden und er von seinen Trieben nicht dazu verleitet wird, die Sünde der Unzucht zu begehen. Die (eigene) Ehefrau ist demnach das beste Mittel, um die Seele rein zu halten. Belegt wird dies auch durch den Hadith: "Wenn eine Frau daherkommt, so ist das so, als käme der Teufel daher. Wenn darum einer von euch eine Frau erblickt, die ihm gefällt, so möge er zu seiner gehen, denn er wird bei ihr dasselbe finden wie bei jener."
Eine der für die Praxis relevanten Konsequenzen dieser Einstellung ist, dass - wie bereits oben erwähnt - übereinstimmend von allen alten und modernen Rechtsgelehrten verlangt wird, dass die Frau ihrem Mann immer zur Verfügung stehen muss und außer bei Krankheit nicht das Recht hat, sich ihrem Ehemann zu verweigern. Der Mann jedoch hat die Pflicht - und auch hier sind sich die Rechtsgelehrten einig - die Frau gut und zärtlich zu behandeln.
Was die Beziehung von Sexualität und der Zeugung von Nachkommen betrifft, so illustriert ein Ausspruch von al-Ġazālī die Einstellung des Islams dazu sehr treffend. Er schrieb: "Geschlechtstrieb und Nachkommenschaft sind beide eine göttliche Einrichtung, zueinander in Beziehung gesetzt. Man darf aber nicht meinen, dass der eigentliche Zweck die Lust sei und die Nachkommenschaft nur die notwendige Folge. Nein, der der Natur und der göttlichen Weisheit entsprechende Zweck ist vielmehr die Nachkommenschaft, und die Libido soll dabei als Anreiz wirken."
Nach Meinung der Theologen erfüllt die Sexualität jedoch noch einen weiteren, sehr wichtigen Zweck im Leben der Gläubigen, indem sie den Menschen eine Lust verschafft, die auf die Freuden des Paradieses hindeutet. Die kurze Wonne der sexuellen Befriedigung verschafft dem Menschen eine Ahnung davon, wie die ewigen Wonnen des Paradieses sein werden. Das ist eine weise Einrichtung Gottes, denn, so die Meinung der Gelehrten, es hätte keinen Sinn, jemandem Freuden in Aussicht zu stellen, die er noch nie erfahren hat. So aber weckt die zeitlich beschränkte Lust der Sexualität das Verlangen auf die ewigen Wonnen des Jenseits, und die Gläubigen werden sich nun umso mehr anstrengen, diese Wonnen auch zu erlangen und demnach versuchen, ein redliches und gottgefälliges Leben zu führen. Für das Paradies selbst verspricht der Koran außer wasserreichen Gärten, ewigem Schatten, herrlichen Früchten und anderen Annehmlichkeiten an mehren Stellen auch die sogenannten Huris. In Sure 55,56-58 heißt es: "Darin (in den Gärten) befinden sich, die Augen niedergeschlagen, weibliche Wesen, die vor ihnen (nämlich den Paradiesinsassen, denen sie nunmehr als Gattinnen zugewiesen werden) weder Mensch noch Dschinn entjungfert hat. Welche von den Wohltaten eures Herrn wollt ihr denn leugnen? Sie sind so strahlend schön, wie wenn sie Hyazinth und Korallen wären." Und in den Versen 68-74 derselben Sure: "Darin sind Früchte und Palmen und Granatapfelbäume. Welche von den Wohltaten eures Herrn wollt ihr denn leugnen? Darin befinden sich gute und schöne weibliche Wesen. Welche von den Wohltaten eures Herrn wollt ihr denn leugnen? Huris, in den Zelten abgesperrt (und den Blicken der Fremden entzogen)."
Hier wird zumindest den männlichen Insassen des Paradieses eine Fortsetzung der Wonnen versprochen, die sie auf Erden nur kurz gekostet haben. Das Paradies wird dargestellt als eine Steigerung des Diesseits, mit abgesonderten Frauen, welche als Jungfrauen auf die Seligen warten und auch immer Jungfrauen bleiben. Die Sexualität bleibt also im islamischen Denken nicht auf die Erde beschränkt, sondern sie gehört eben auch zu den vielen Freuden des Jenseits. Ob den Frauen übrigens ähnliche Freuden gegönnt sind, darüber gibt der Koran keine Auskunft.
Nicht eingehender behandelt werden kann hier das weite Feld "Literatur und Erotik". In der arabischen, persischen und türkischen Poesie gibt es natürlich auch eine große Zahl von Liebesgedichten, die aber großteils die unerfüllte, schmerzhafte Liebe schildern. Diese sogenannte usritische Liebe war auch den Mystikern ein Vorbild in ihrer Liebe zu Gott, welche - außer im Tod - auch unerfüllt bleiben muss. Zwar bediente man sich auch hier manchmal einer Sprache, die Anspielungen auf körperliche Liebe vermuten lässt, doch blieb dies eher die Ausnahme. Ungezählt sind die Gedichte und Berichte über die "Orgien" an den Kalifenhöfen (etwa bei Abū Nuwās oder im Kitāb al-Aghānī), wo alles geschildert wird, was Gott verboten hat. Bemerkenswert sind hier die oft unverblümten Anspielungen auf religiöse Riten.
Auch die volkstümlichen Erzählungen wie "1001 Nacht" enthalten nicht wenige erotische Passagen, die das Bild des Orients im Europa des 18. und 19. Jahrhunderts nachhaltig mitgeprägt haben. Interessant ist ein eher für Nordafrika übliches Genre, wo unter dem Deckmantel der Rechtswissenschaften Traktate entstanden, die in allen Einzelheiten schildern, was verboten und was erlaubt ist. Diese Werke waren also nichts anderes als pornographische Schriften, geschrieben, so das Vorwort eines dieser Bücher, "zum Zwecke der guten Erziehung und der Aufrechterhaltung der Sitten". Allein die Tatsache, dass dies innerhalb der religiösen Wissenschaften möglich war, zeigt die Unbekümmertheit des Islams gegenüber den menschlichen Trieben, solange diese sich an die vorgegebene Richtschnur halten. Körperliche Liebe wird innerhalb der islamischen Ethik als etwas durchaus Positives angesehen, solange ihre Ausübung sich nach den in der Scharia festgelegten Regeln bewegt, das heißt im Rahmen der Ehe oder des Konkubinats (mit Sklavinnen). Nicht wenige Aussprüche des Propheten Muhammad betonen die Vorzüge der geschlechtlichen Liebe und selbst für das Paradies versprechen immerwährende Jungfrauen eine Weiterführung von Genüssen, welche zumindest in der traditionellen Interpretation nicht nur rein seelischer Natur sein werden.
Zu dieser grundsätzlichen Bejahung und der eindeutig positiven Sicht der Sexualität (nur etwas eingeschränkt durch den Umstand, dass sexueller Kontakt kultische Unreinheit hervorruft) kommt im Islam noch eine strikte Verwerfung zölibatären Lebens, und zwar sowohl für Frauen als auch für Männer. Die islamische Kulturgeschichte des Mittelalters und der früheren Neuzeit zeigt insbesondere im Spiegel der Literatur, dass Erotik und Sexualität nur wenigen Tabus unterworfen waren und konservative Rechtsgelehrte immer wieder auf den moralischen Verfall der Gesellschaft hinweisen mussten. Kulturgeschichtlich interessant ist auch die im islamischen Raum lange Zeit weitverbreitete (männliche) Päderastie, welche scheinbar trotz ihres expliziten Verbots im Koran zumindest in Teilen der Gesellschaft akzeptiert wurde.

Literatur

Abu Nuwas: O Tribe that Loves Boys. Translated by Hakim Bey. Amsterdam-Utrecht 1993.
Bouhdiba, Abdelwahab: Sexuality in Islam. London 1998.
Bousquet, G.-H.: L'éthique sexuelle de l'Islam. Paris 1966.
Chebel, Malek (Ed.): Encyclopédie de l'amour en Islam. Paris 1995.
The Encyclopaedia of Islam. 11 Bände, Leiden 1960-2002; insbes. Bd. IV s.v. djins.
al-Ġazālī: Von der Ehe. Übersetzt und erläutert von Hans Bauer. Halle/Saale 1917.
Heller, Erdmute & Mosbahi, Hassouna: Hinter den Schleiern des Islam. Erotik und Sexualität in der arabischen Kultur: München 1993.
an-Nawawī: Forty Hadith. Translated by E. Ibrahim and D. Johnson-Davies. Damascus 1976.
Paret, Rudi: Der Koran. Übersetzung. 3. Auflage, Stuttgart: Kohlhammer, 1983.
Haeri, Shahla: Law of Desire. Temporary Marriage in Iran. London 1989.
Sprenger, Aloys: Das Leben und die Lehre des Mohammad. 3 Bde. Berlin 1861-1865.