Bericht über die Bosnienreise mit Annemarie Kury

23.-27.Sept. 2008

Wir fuhren am 23. September mit zwei Autos von Wien ab. Annemarie fuhr mit Traudl, Emina,eine Rotary-Stipendiatin, mit mir. Mein Volvo war voll bepackt mit offener Tür in der Garage gestanden und aus diesem Grund war beim Wegfahren die Batterie leer gewesen. Mit einem Startkabel von Peter Zacherl konnten wir starten und trafen Annemarie und Traudl in der letzten österreichischen Raststation Gralla in der Steiermark. Der nächste Stop war dann schon südlich von Zagreb bei der Raststation Plitvice wo wir frühstückten. Anschließend ging es circa 250 km völlig eben und praktisch gerade entlang der Save. Bei Zupanja verließen wir die Autobahn, überquerten die Save auf der neuen Brücke und passierten ohne Probleme die beiden Grenzen um in die bosnische Republica Srbska zukommen.

Die erste Station in Tuzla (Föderation) war der Besuch der österreichischen Soldaten im LOT (= Liaison Observation Team). Major Michael Spiwak gab uns einen sehr anschaulichen Bericht über die Aufgaben des LOT.

Am 24. September besuchten wir zuerst Koraci Nade, ("Schritte der Hoffnung") ein Tagestherapiezentrum für behinderte Kinder.

Schon beim Zugang konnte ich mich davon überzeugen, wie steil und in welch schlechtem Zustand der Zugang zu diesem Zentrum ist. So kann ich mir leicht vorstellen, dass im Winter auch ein Schieben eines Rollstuhls diese steile holprige Straße hinauf praktisch unmöglich ist. Auch Autos können bei Schneelage diesen steilen Weg sicher nicht hinauffahren.

In einem Treffen mit den Verantwortlichen von Koraci Nade, dem bosnischen Baumeister vom Hilfswerk Austria und diversen Vertretern von Rotary Tuzla wurde das Projekt des Neubaus von Koraci Nade besprochen und aufgezeigt, dass zunächst die Eigentumsverhältnisse des von der Stadt Tuzla zur Verfügung gestellten Grundes geklärt werden müssen, erst dann kann der Bauplan eingereicht werden, und dann dauert es mindestens 45 Tage bis die Baugenehmigung erfolgen kann. Alle diese Umstände zusammen ergeben die Tatsache, dass mit dem tatsächlichen Bau frühestens im Frühjahr 2009 begonnen werden kann.

Beim Besuch in den diversen Räumen konnte ich mich davon überzeugen, mit welcher Achtsamkeit und Liebe die Kinder behandelt werden. Besonders aufgefallen ist mir ein junger Mann (Nirmel) im Rollstuhl, der ziemlich perfekt Deutsch spricht, er war auch längere Zeit in Deutschland. Er saß an einem Tisch mit diversen anderen Kindern unterschiedlichen Alters, die damit beschäftigt waren, Weihnachtskarten anzumalen. Im Vorzimmer saßen ein Dutzend Mütter. Die Tatsache, dass sie bei diesen Zusammentreffen ihre Erfahrungen austauschen können, während ihre Kinder in Behandlung sind, ist ganz offensichtlich von großem Wert.

In einer Broschüre des Zentrums fand ich folgenden "Credo of Support":

und ich muss sagen, dass diese Ausführungen mich ungemein beeindruckt haben und den guten Geist dieses Zentrums widerspiegeln.

In einer kurzen Besprechung mit den Rotariern aus Tuzla wurden sodann die Eckpunkte des geplanten Besuches im Mai festgelegt. Dabei sollen die Kinder von Koraci Nade im Mittelpunkt stehen und zum Beispiel ein kleines Theaterstück oder sonstiges, was sie einstudiert haben, aufführen. So eine Aufführung braucht nicht sehr lange zu sein, soll aber dem Besuch doch eine ganz besondere Note geben. Sehr zu hoffen ist, dass beim Besuch im Mai bereits ein Baubeginn stattgefunden hat und die Baustelle besichtigt werden kann.

Anschließend fuhren wir in Begleitung von Major Spiwak zu einer armseligen Hütte im Süden der Stadt. Dort haust eine Familie mit drei kleinen Kindern. Als einzig brauchbares Möbelstück befindet sich ein kleiner mit Holz oder Kohle zu heizender Herd in einem Raum, die anderen Räume sind unbeheizt. Das Wasser ist in circa 10 m Entfernung im Freien bei einem Wasserhahn eines Brunnens zu entnehmen, Waschgelegenheit oder Toilette gibt es nicht in dieser Hütte, an Elektroinstallationen nackte Glühbirnen mit offenen, für Kinder und Erwachsene gefährlichen Steckdosen. Auch das Dach hat diverse Löcher und muss saniert werden. Major Spiwak hat einen detaillierten Plan zur Renovierung dieser Hütte vorbereitet und inzwischen bin ich verständigt worden, dass die wesentlichsten Renovierungen bereits erfolgreich abgeschlossen werden konnten: das Dach ist saniert, die Elektroleitungen sind saniert, der Mann hat begonnen das Bad zu mauern, Kanal und Wasserleitungen bis ins Haus verlegt. Er hat mir auch mitgeteilt, dass diese Investitionen dieser Familie neue Hoffnung geben und es den Anschein macht, dass der Neuanfang für diese ein Anlass für Optimismus ist, dass solche Aktionen doch mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein sind.

Der nächste Besuch galt jener Familie, deren Haus vor einem Jahr unmittelbar vor dem Einsturz stand. Für diese Familie kaufte Annemarie ein kleines Haus nicht weit vom alten Standort entfernt. Wir trafen die Mutter mit ihrem zwei Wochen alten Baby und zwei weiteren kleinen Buben. Wir besorgten im Supermarkt Vorräte an Essen, Windeln, Waschpulver etc., so dass zumindest für einige Zeit vorgesorgt wurde. Weiters ist geplant, der Familie eine Unterstützung zum Ankauf von Brennstoff für den Winter angedeihen zu lassen.

Anschließend besuchten wir noch eine Frau, welche sieben behinderte Kinder ihrem Haus betreut. Ganz offensichtlich lebt diese Frau von der Unterstützung die sie für die Betreuung der Kinder bekommt. Unter diesen Kindern befindet sich auch eine circa 30-40 jährige Frau, welche offensichtlich geistig behindert ist, welche aber die gesamte Aufräum- und sonstigen Arbeiten durchführt. Sehr berührend war die Begegnung mit einem blinden Mädchen, welches in einer extrem vorgebeugten Haltung mit einem ganz verbogenen Rücken den ganzen Tag auf einem Polster kauert. Als Annemarie die Hände dieses Mädchens ergreift, gibt dieses Mädchen eindeutige Zeichen der Freude, des Wiedererkennens und natürlich des Nicht-loslassen-wollens von sich. Einer der Buben wird rasch fortgeschickt um für alle je eine Tafel Schokolade zu kaufen und groß ist die Freude, als jedes der Kinder dann ganz ungläubig eine Tafel Schokolade bekommt und einige diese auch gleich verspeisen. Annemarie sagt zurecht, dass diese kleine Freude die man den Kindern machen kann, alle Bedenken ob das gesund oder klug ist, hintanstellen.

Am Abend wurden wir wieder von unserer Gastfamilie mit sehr schmackhaften, selbstgemachten Speisen versorgt und schliefen alle früh nach einem doch sehr ereignisreichen Tag.

Der nächste Tag war der Reise nach Sarajevo gewidmet und Emina begleitete uns als Übersetzerin. Leider regnete es den ganzen Tag in Strömen, und nichts von der stark gegliederten sehr hügeligen und unwegsamen Landschaft war sichtbar. Wir machten den Umweg über Vlasenica um dort die Rotary Stipendiatin Svetlana zu besuchen. Sie wohnt im dritten Stock eines Hauses mit ihrer Schwester und sie benötigt jedes Mal, wenn sie das Haus verlassen will, zusätzliche Hilfe, um sie samt Rollstuhl die drei Stockwerke hinauf und hinunter zu schleppen. Annemarie erzählt, dass es den österreichischen Soldaten zu verdanken ist, dass Annemarie auf Svetlana aufmerksam gemacht wurde. Nun studiert sie in Pale Psychologie und will nach Abschluss ihres Studiums insbesondere Menschen mit einem ähnlichen Schicksal helfen. Wenn die Entfernung zwischen Tuzla und Sarajevo auch nicht sehr groß ist, so ist doch die Durchschnittsgeschwindigkeit nicht mehr als 40-50 km/h. In der Nähe von Sarajevo nimmt der Verkehr stark zu und in der Stadt ist er sehr dicht. Wir fahren beim gigantomanischen Olympiastadion vorbei und treffen dann die rotarischen Kollegen. In einem äußerst konstruktiven Gespräch erklären diese sich bereit, die Besichtigung von Sarajevo, die Reservierung des Hotels, und die Busfahrt nach Tuzla für die Clubreise im Mai zu organisieren. Wir besichtigen sodann das Hotel und stellen fest, dass die neu renovierten Zimmer äußerst geschmackvoll und luxuriös sind. Es bleibt Zeit für einen kleinen Stadtspaziergang bei strömenden Regen in der Fußgängerzone. Da Ramadan ist, können wir nicht in die Große Moschee hinein. Wir stärken uns mit Café und exquisiten Mehlspeisen und treten bald die Rückfahrt nach Tuzla an. Wieder fallen uns insbesondere in der Gegend diverser Passhöhen die roten Schilder mit dem weißen Totenkopf auf, welche vor Minen warnen. Lange nach Dunkelheit erreichten wir wieder unser Quartier und freuen uns über die liebevoll bereitete Abendmahlzeit.

Den dritten Tag verbrachten wir in Begleitung von Dr. Miroslav, unserem ehemaligen Stipendiaten und besuchten diverse Familien, welche in Dörfern circa 20-40 km außerhalb von Tuzla wohnen. Interessant war am Weg eine Moschee, welche an der Stelle der alten, im Krieg zerstörten wieder aufgebaut worden ist. Dort versammeln sich um die Mittagszeit einige Männer zum Freitagsgebet.

Eine bewundernswerte Familie hat zwei behinderte Kinder und einen kleinen gesunden zweijährigen Buben. Die Mutter schafft es mit großer Anstrengung, regelmäßig die Kinder nach Koraci Nade zu bringen. Sie ist stark und mutig und man kann ihr Geld und Geschenke für andere Leute in der Gegend anvertrauen. Weitere Besuche führen zu einer Familie mit einem tauben, arbeitsunfähigen Mann und einem behinderten Kind sowie einer Romafamilie mit neun Kindern in der der Mann ebenfalls zu krank ist, um auch nur irgend einer Arbeit nachgehen zu können. Der 17-jährige Sohn ist mit seiner Braut anwesend. Einen weiteren Besuch machen wir bei der so genannten "Chaosfamilie": sie wohnt seit Jahr und Tag in einem Rohbau im zweiten Stock. Im ersten Stock sind keine Türen und Fenster, im zweiten Stock befindet sich in dem Zimmer welches wir betreten: außer einem Ofen in dem aber kein Feuer brennt und zwei dünnen Matratzen auf denen wir uns niederlassen, ist absolut kein Gegenstand außer ein paar schmutzigen armseligen Decken zu sehen. Diese Familie, sie hat vier Kindern, eines davon behindert, ist leider ganz offensichtlich nicht dem Stand für sich zu sorgen, sie kann auch mit Geld nicht umgehen, jedoch besteht die Möglichkeit in dem kleinen Gemischtwarenladen Geld zu hinterlegen, sodass diese Familie Lebensmittel dort beziehen kann. Die genaue Abrechnung funktioniert vorbildlich. Leider besuchen auch die zwei gesunden Buben ganz offensichtlich die Volksschule nicht.

Der nächste Tag ist bereits der Tag der Heimreise. Annemarie bleibt um die weiteren Besuche zu machen. Wir fahren in zwei Autos mit Emina und ihrer Schwester und überqueren wiederum völlig ohne Probleme die Grenze nach Kroatien bei Zupanja. Dann kommt die lange langweilige Strecke 250 km völlig eben und gerade entlang der Save bis sich bei Zagreb unsere Wege trennen und ich alleine noch einen Besuch in Karlovac mache. Dieser Besuch reihte sich ihn die Erfahrungen der letzten Tage nahtlos ein. Herr Nicola und seine Frau, er ist Serbe sie ist Kroatin, waren auch im Krieg nach Österreich geflüchtet und hinterließen in Kroatien ein selbst gebautes, schuldenfreies Haus, sie einen Beruf als Lehrerin, er war Handelsvertreter. Sie schafften es in Wien sich mit ungeheuren Fleiß und Zielstrebigkeit wieder eine Existenz aufzubauen und ermöglichten beiden Kindern ein Studium. So hat die Tochter eine sehr gute Stelle in London bei einer Nachrichtenagentur, der Sohn hat gerade eine Dänin geheiratet und hat eine gute Arbeit in Dänemark. Bei Karlovac unmittelbar in Nähe der Grenze zu Bosnien hat diese Familie ihr Haus neu aufgebaut links und rechts befinden sich noch vom Krieg halb zerstörte Häuser so wie sie ihn ganz Bosnien nur ganz selten gesehen habe. Mit Bitterkeit wird berichtet, dass die Zerstörung dieser Häuser weniger vom Krieg stammen, sondern von Besetzungen und mutwilligen Sprengungen beim Verlassen der besetzten Häuser. Ich bin froh, durch den Besuch bei der Familie Nicola, welche ich seit den 90er Jahren kannte, meinen Eindruck von der Zeitgeschichte und des sinnlosen Jugoslawienkrieges vertieft zu haben.

Durch diesen Besuch, der doch dann einige Stunden dauerte, kam ich viel später als geplant nach Österreich zurück und so ergab es sich, dass ich meine Freunde in der Südsteiermark anrief und fragte, ob ich bei Ihnen zu Abend essen könnte. Tatsächlich war an diesem Abend eine größere Gesellschaft von circa 12 Personen geladen und ich kam neben einem Austro-Amerikaner zu sitzen dem ich meine frischen Eindrücke aus Bosnien-Herzegowina erzählte. Dass dieser Herr sich spontan bereit erklären würde, den Neubau von Koraci Nade mit der beträchtlichen Summe von 150.000 € zu unterstützen, war in keinster Weise vorauszusehen gewesen und kann nur als Fügung des Schicksals betrachtet werden. Annemarie sagte später, dass diese Nacht gegen Ende des Ramadan in der moslemischen Gemeinschaft als Nacht des Betens und der Wunder (Nafaka = verdientes Glück, Segen) gilt.

Bilder der Bosnienreise: http://phoenix.tuwien.ac.at/bosnien

Prof. Dr. Ulrich Jordis
Vienna University of Technology
Inst. of Applied Synthetic Chemistry
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