Ostern 2005 - mit Annemarie Kury in Bosnien unterwegs

In der heurigen Karwoche hatte ich zum dritten Mal Gelegenheit, Annemarie Kury nach Bosnien zu begleiten . Diesmal stand die Hilfsaktion unter dem Motto „Schafe schaffen Hoffnung in Bosnien“ , wobei neben der laufenden materiellen Unterstützung und persönlichen Begleitung von notleidenden Familien vor allem auch für Bauern in verarmten Regionen mit mehr als 80 % Arbeitslosigkeit durch das Zuteilen von Schafen eine verbesserte Existenzgrundlage geschaffen werden sollte.

Es war die 150. (!) Fahrt von Annemarie. Welche Kraft und Ausdauer wohl in dieser großartigen Frau stecken. Berührend daher auch die Laudationes und Danksagungen der ihr aus diesem Anlass zuteil gewordenen Ehrungen in der Stadt Tuzla und in der österreichischen Botschaft in Sarajevo.
O. Univ. Prof. Mile Babic hat dabei in seiner Würdigung den Kern dieser beispielhaften Hilfsaktion angesprochen:
„ … durch ihren Einsatz für konkrete Menschen in Bosnien–Herzegowina hat Annemarie das bestehende Paradigma, das bestehende nationalistische Paradigma in Bosnien–Herzegowina aufgehoben.
Sie zerstört die Verewigung des bestehenden Zustandes, in dem wir für alle Ewigkeit gut und andere bös sind.
Dadurch hat sie für ganz Bosnien Gutes getan . . .“

Und tatsächlich trägt Annemarie durch ihr uneigennütziges Tun für die Menschen in Bosnien ohne Bedacht auf Herkunft und Religion viel zur Versöhnung der verschiedenen Volksgruppen bei. Einige Beispiele:

- das in der Feierstunde in Tuzla von den behinderten Kindern des Therapiezentrums Koraci Nade (Schritte der Hoffnung) so berührend vorgespielte Märchen der 3 Frösche – ein Märchen, das seinerzeit auf Veranlassung von Annemarie ins Bosnische übersetzt und an viele Schulen verteilt wurde, um die Notwendigkeit des Teilens und des Miteinanders bildhaft zu machen –,
- die Begegnung mit Fadil Banjanovic, Bürgermeister von Kozluk und Parlamentsabgeordneter, der, von Annemarie moralisch unterstützt, politische Programme zur Versöhnung in die Wege leitet,
- die begonnene Schafaktion, durch die Bosnier und Serben künftig Jungschafe miteinander teilen werden,
- das Beispiel von Resada in Vrbanjci bei Kotor Varos, wo trotz anfänglicher Vorbehalte seitens der Serben nunmehr durch die Aktivitäten von Annemarie eine volle Reintegration der Muslimin in ihre alte Heimat gelungen ist . . .

Was hat mich diesmal besonders positiv berührt?
- der herzliche Dank der vielen Menschen, denen Annemarie bisher geholfen hat. Fast alle waren zum Fest „150 Mal Annemarie in Bosnien“ gekommen und gaben ein beredtes Zeugnis von Annemaries selbstlosem Einsatz;
- dass das Programm von Annemarie „Hilfe zur Selbsthilfe“ gut greift und in Zukunft selbständiges Leben sichert. Beispielhaft seien die Familien von Saliha und Mesic in Janja erwähnt, die nunmehr ihren eigenen, von der „Aktion Annemarie“ geschenkten Acker bebauen können und damit ihre Nahrungsgrundlage erhalten haben;
- der hilfreiche Einsatz der österreichischen Soldaten im Rahmen der EUFOR-Truppen bei der Beschaffung und Verteilung von Schafen an notleidende Bauern sowie die dabei vereinbarte Regelung, dass die kommenden Jungschafe mit den anderen Bauern der Region zu teilen sind, um einen „Schneeballeffekt“ zu gewährleisten;
- dass die Hilfsaktionen der Annemarie die Instandsetzung nun schon vieler beschädigter Häuser und die Rückkehr der betroffenen Familien in ihr Zuhause ermöglicht haben. Das glückliche Lächeln z. B. der gelähmten Mirsada und ihrer Mutter wieder im eigenen Heim in Bijeljina entschädigt für viele Anstrengungen, die hiefür aufgewendet werden mussten;
- dass Annemarie durch Spendengelder auch Arbeitsplätze ermöglicht – etwa für Nermina in einer Krankenstation, wo großer Personalbedarf herrscht, aber das Geld für die Anstellung von Personal fehlt. Nermina kann nun mit dem Ertrag dieser Arbeit ihren kleinen Sohn ernähren und die Miete ihrer Wohnung bezahlen;
- dass Annemarie trotz der großen Zahl von Patenschaften immer noch die Kraft hat, neue Familien in ihr Hilfswerk einzubinden, obwohl sie längst schon an der Grenze der Belastbarkeit angelangt ist. Ich denke dabei an den vergangenen Ostersonntag, an dem sie eine Mutter mit sechs halbwüchsigen Kindern , verlassen unter menschenunwürdigen Verhältnissen in einem Abbruchhaus ohne Fenster, ohne Türen, ohne Licht, Heizung und Wasser, ohne jegliche finanzielle Unterstützung in Tuzla aufgespürt und mit Hilfe von Freunden innerhalb von 2 Tagen eine akzeptable Wohnung in Tuzla angemietet und das Essen zunächst einmal für ein halbes Jahr sichergestellt hat. Das ist Ostern – gelebte und ermöglichte Auferstehung!
Erstaunlich nur in diesem Zusammenhang, dass die Franziskaner im nahe gelegenen Kloster in Tuzla nicht bemerkt haben, dass sich diese Familie in einer solchen Notsituation befindet, obwohl die Kinder in der Klosterkirche ministrieren.
Zur Ehrenrettung der Franziskaner sei aber erwähnt, dass andererseits jene Patres, die ich in Tramosnica kennen lernen konnte, sehr wohl die Nöte der Menschen außerhalb der Klostermauern kennen und wertvolle Hilfe bei der gerechten Verteilung von Hilfsgütern aus dem Spendentopf der Annemarie leisteten.

Nachdenklich gemacht hat mich bei diesem 3. Besuch in Bosnien, dass offenbar viele junge Menschen zunehmend keine Chancen für eine positive Entwicklung in diesem Land sehen und abwandern wollen. Und andererseits Kinder von bosnischen Gastarbeitern aus dem Ausland selbst dann nicht zurückgehen, wenn die Eltern aus den Ersparnissen Eigenheime in der Heimat errichten.
Betroffen gemacht hat mich in diesem Zusammenhang weiters, dass jene jungen Menschen, die doch aus dem Ausland zurückkommen, um die im Ausland erworbene Ausbildung in die Heimat einzubringen, mitunter aus Eifersucht oder Neid der Arbeitskollegen, die diese Möglichkeit eines Auslandsaufenthaltes nicht hatten, einem Mobbing ausgesetzt sind. 
Hier ist Herzensbildung notwendig.
Betroffen gemacht hat mich schließlich u. a. auch, dass gerade jene ländlichen Gebiete mit hoher Arbeitslosigkeit, in welchen wir im Zusammenwirken mit den österreichischen EUFOR-Soldaten Schafe an arme Bauern verschenkt haben, trotz der prachtvoll schönen Landschaft eine Fremdenverkehrserschließung kaum zulassen, weil sie nach wie vor stark vermint sind - mit Personenminen ohne Metallanteil, daher kaum auffindbar und durch die Kunststoffverschweißung ewig haltbar.

Aber trotz dieser die künftige Entwicklung dieses Landes hemmenden Umstände bleiben doch in erster Linie die leuchtenden Augen der Menschen in Erinnerung, denen geholfen werden konnte. Und das stärkt die Gewissheit, dass es sich lohnt, Annemarie weiterhin bei ihrer so segensreichen Arbeit der Nächstenliebe zu unterstützen.

Wien, im April 2005 Werner Biffl

Dipl. Ing. Dr. Werner Biffl ist O. Univ. Prof. i. R.

 

annemariekury@hotmail.com